Stahl, G., Koschmann,
T., & Suthers, D. (2006). Computer-supported collaborative learning: An
historical perspective. In R. K. Sawyer (Ed.), Cambridge handbook of the
learning sciences (pp. 409-426). Cambridge, UK: Cambridge University Press.
Available at http://GerryStahl.net/cscl/CSCL_English.pdf
in English, http://GerryStahl.net/cscl/CSCL_Chinese_simplified.pdf
in simplified Chinese, http://GerryStahl.net/cscl/CSCL_Chinese_traditional.pdf
in traditional Chinese, http://GerryStahl.net/cscl/CSCL_Spanish.pdf
in Spanish, http://GerryStahl.net/cscl/CSCL_Portuguese.pdf
in Portuguese, http:/
GerryStahl.net/cscl/CSCL_German.pdf in German, http://GerryStahl.net/cscl/CSCL_Romanian.pdf
in Romanian, http://GerryStahl.net/cscl/CSCL_Japanese.pdf
in Japanese. Translations by permission of Cambridge University Press.
Gerry Stahl, Timothy Koschmann,
Dan Suthers
Das Feld des
computerunterstŸtzten kollaborativen Lernens (CSCL) ist ein wachsender Teilbereich
der Learning Sciences[2], in welchem
untersucht wird, wie Menschen mit Hilfe des Computers gemeinsam lernen kšnnen.
Wie spŠter in diesem Beitrag deutlich wird, verbirgt sich hinter dieser
einfachen Aussage eine erhebliche KomplexitŠt. Es wird sich erweisen, dass das
Zusammenspiel zwischen Lernen und Technologie reichlich verworren ist. In der
Verbindung von Kollaboration mit Computervermittelung und
Fernunterricht wurde der Begriff des Lernens problematisiert sowie die
vorherrschenden Annahmen, wie Lernen zu untersuchen sei, in Frage gestellt.
Wie viele aktive
Forschungsfelder steht auch CSCL in einer komplexen Wechselbeziehung zu anderen
Disziplinen, entwickelt sich auf Wegen, die nur schwer genau aufzuzeigen sind
und beinhaltet wichtige BeitrŠge, die unvereinbar erscheinen. Das Feld CSCL hat
eine lange Geschichte der Kontroverse Ÿber seine Theorie, Methoden
und Definition. DarŸber hinaus ist es wichtig, CSCL als eine Vision, was mit
Computern mšglich sein kšnnte und welche Forschungen hierzu notwendig
wŠren, zu verstehen und weniger als einen etablierten Korpus an breit
akzeptierten Labor- und Klassenzimmerpraktiken. Wir beginnen mit einigen
populŠren Grundannahmen Ÿber die Fragestellungen von CSCL und werden nach und
nach deren komplexe Natur aufzeigen. Wir werden einen †berblick Ÿber die
historische Entwicklung von CSCL geben und unsere Zukunftsperspektive dieses
Forschungsfeldes darlegen.
In der
Betrachtung bestimmter Lernformen befasst sich CSCL eng mit Bildung. Es bezieht
alle Ebenen der formalen Ausbildung vom Kindergarten bis zur
UniversitŠtsausbildung sowie informelle Bildung, wie sie beispielsweise in
Museen stattfindet, ein. Computer sind in der Bildung zunehmend bedeutsam
geworden, in aller Welt haben sich Schulbehšrden und Politiker zum Ziel
gesetzt, immer mehr Lernenden Zugang zu Computern und dem Internet zu
ermšglichen. Auch wurde in der Lehr-Lernwissenschaft verstŠrkt der Idee
Nachdruck verliehen, Lernende dazu anzuhalten, in kleinen Gruppen miteinander
zu lernen.
Dennoch bleibt
die FŠhigkeit zur effektiven Kombination dieser beiden Ideen (ComputerunterstŸtzung
und kollaboratives Lernen oder Technologie und Bildung) zur wirksamen Fšrderung
von Lernen eine Herausforderung – eine Herausforderung, der sich CSCL
stellt.
Computer im Klassenzimmer
werden oft skeptisch betrachtet. Sie werden von Kritikern als langweilig
und antisozial gesehen, als Zufluchtsort fŸr Computerfreaks und als eine
mechanische, unmenschliche Form der Ausbildung. CSCL basiert auf genau der
gegenteiligen Vision: es schlŠgt die Entwicklung neuer Software und Anwendungen
vor, die Lernende zusammen bringen und kreative AktivitŠten zur intellektuellen
Erkundung und sozialen Interaktion anbieten.
CSCL entstand in
den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts als Reaktion auf Software, welche
SchŸler und Studenten dazu zwang, als isolierte Individuen zu lernen. Anreiz
fŸr die CSCL-Forschung war das erstaunliche Potential des Internets, Menschen
in neuartiger Art und Weise miteinander in Verbindung zu bringen. Mit der Entwicklung
von CSCL wurden jedoch zunehmend unvorhergesehene Schwierigkeiten bei
der Gestaltung, Verbreitung und wirksamer Anwendung innovativer
Lehr/Lern-Software deutlich. Eine Umgestaltung des gesamten Konzepts von Lernen
wurde erforderlich, eine Umgestaltung, die ma§gebliche €nderungen in der Schulausbildung,
dem Lehren und dem SelbstverstŠndnis der Lernenden umfasst.
CSCL ist oft
verschmolzen mit E-Learning, der Organisation des Unterrichts Ÿber Computernetzwerke.
Zu oft ist E-Learning durch den naiven Glauben motivitiert, dass die Inhalte
aus dem Klassenzimmer digitialisiert und an eine gro§e Zahl von Lernenden
verteilt werden kšnnen, und dass im Weiteren nur noch wenig AktivitŠt seitens
der Lehrenden notwendig ist und viele Kosten, zum Beispiel fŸr GebŠude und
Reisen, wegfallen. Mit dieser Betrachtungsweise gibt es eine Reihe von
Problemen:
Erstens erweist
es sich als falsch, dass das Versenden von Inhalt, wie zum Beispiel Folien,
Texte oder Videos, bereits zur Unterweisung fŸhrt. Inhalte dieser Art kšnnen
wichtige Ressourcen fŸr Lernende sein – wie es BŸcher schon immer waren
–, sie sind jedoch nur in einem grš§eren motivationalen und interaktiven
Kontext wirksam.
Zweitens verlangt
die Online-Lehre mindestens genauso viel Aufwand eines menschlichen Lehrers wie
die Lehre im Klassenzimmer. Nicht nur, dass die Lehrenden Materialien
vorbereiten und mittels des Computers verfŸgbar machen mŸssen, sie mŸssen
ausserdem jeden einzelnen Lernenden durch kontinuierliche Interaktion ein GefŸhl
sozialer PrŠsenz motivieren und anleiten. WŠhrend die Online-Ausbildung es
erlaubt, dass Lernende aus aller Welt daran teilnehmen und Lehrende
an jedem Ort mit Internetanbindung arbeiten, erhšht es doch den Lehraufwand
je Teilnehmer erheblich.
Drittens betont
CSCL die Kollaboration zwischen den Lernenden, so dass diese nicht allein auf
verschicktes Material reagieren. Das Lernen findet vor allem in der Interaktion
zwischen den Lernenden statt. Sie lernen, indem sie ihre Fragen
ausdrŸcken, gemeinsam Nachforschungen anstellen, sich gegenseitig
unterweisen und andere beim Lernen beobachten. ComputerunterstŸtzung
fŸr solcherart Kollaboration ist zentral fŸr einen CSCL-Ansatz des E-Learnings.
Die Anregung produktiver Interaktion zwischen Lernenden und ihre VerstŠrkung
ist schwierig zu erreichen, es erfordert fachkundige Plannung, Koordination und
Umsetzung des Curriculums, der PŠdagogik und der Technologie.
Viertens
beschŠftigt sich CSCL auch mit der Kollaboration in face-to-face (F2F)
Lernszenarien. ComputerunterstŸtzung des Lernens erfolgt nicht immer in Form
eines Online-Kommunikationsmediums. Die ComputerunterstŸtzung kann
beispielsweise eine Computersimulation eines wissenschaftlichen
Modells oder eine interaktive ReprŠsentation umfassen. In diesen FŠllen
fokussiert die Kollaboration auf die Konstruktion und Exploration der
Simulation oder ReprŠsentation. Alternativ kann eine Gruppe von Lernenden den
Computer dazu nutzen, um durch Informationsangebote im Internet zu browsen und
die gefundenen Informationen kollaborativ zu diskutieren, zu debattieren,
zusammenzutragen und zu prŠsentieren. Computer kšnnen Interaktionen zwischen
Lernenden am selben Ort oder in rŠumlich verteilten, in synchronen und in
asynchronen Arrangements unterstŸtzen.
Die Erforschung
des Gruppenlernens begann lange vor CSCL. Seit den 1960er Jahren, vor dem
Aufkommen vernetzter Personalcomputer, wird kooperatives Lernen in der
PŠdagogik ausfŸhrlich untersucht. Die Erforschung von Kleingruppen hat in der
Sozialpsychologie eine noch lŠngere Tradition.
Um CSCL von
diesen frŸheren Untersuchungen des Guppenlernens abzugrenzen, ist es hilfreich,
zwischen kooperativem und kollaborativem Lernen zu unterscheiden. In einer
detaillierten Diskussion dieser Unterscheidung definierte Dillenbourg (1999a)
den Unterschied grob folgenderma§en:
Beim Kooperieren
teilen die Partner ihre Arbeit auf, lšsen Teilprobleme individuell und fŸgen
dann die Teilergebnisse zum Endergebnis zusammen. Beim Kollaborieren arbeiten die
Partner âzusammenÕ. (S. 8)
Er verweist dann
auf die Kollaborationsdefinition von Roschelle & Teasley (1995):
Dieses Kapitel
prŠsentiert eine Fallstudie, die veranschaulicht, wie ein Computer als ein kognitives
Werkzeug zum sozial stattfindenden Lernen genutzt werden kann. Wir untersuchen
einen besonders wichtigen Typ sozialer AktivitŠt, der kollaborativen Konstruktion neuen Problemlšsewissens. Kollaboration
ist ein Prozess, mit dem Individuen die fŸr die vorliegende
Problemlšseaufgabe relevanten Bedeutungen
aushandeln und teilenÉ Kollaboration ist eine koordinierte, synchrone
AktivitŠt, welche das Ergebnis des kontinuierlichen Bestrebens
ist, ein gemeinsames VerstŠndnis eines Problems zu konstruieren und aufrecht zu
erhalten. (S. 70, Hervorhebung hinzugefŸgt)
Untersucht man
Lernen, dann ist dies ein gro§er Unterschied. Beim Kooperieren erfolgt das Lernen
durch Individuen, welche ihre individuellen Ergebnisse zusammentragen und die
Sammlung der individuellen Ergebnisse als Gruppenprodukt prŠsentieren.
Lernen in kooperierenden Gruppen wird als etwas gesehen, was individuell
statt findet – und damit auch mit den traditionellen
Konzeptualisierungen und Methoden der pŠdagogischen und psychologischen
Forschung untersucht werden kann.
Im Gegensatz
hierzu erfolgt Lernen in Roschelle & Teasleys Charakterisierung von Kollaboration
sozial durch die kollaborative Konstruktion von Wissen. NatŸrlich sind
Individuen als Mitglieder der Gruppe involviert, aber die AktivitŠten, in denen
sie sich engagieren, sind nicht individuelle LernaktivitŠten, sondern
GruppenaktivitŠten wie Aushandeln und Teilen. Die Individuen gehen nicht
auseinander, um Dinge individuell zu erledigen, sondern bleiben an der
gemeinsamen Aufgabe, die durch und fŸr die Gruppe konstruiert und aufrechterhalten
wird, involviert. Die kollaborative Aushandlung und das soziale Teilen von Gruppenbedeutungen – zentrale
PhŠnomene der Kollaboration – kšnnen nicht mit traditionellen
psychologischen Methoden untersucht werden.
Wie wir gerade
gesehen haben, umfasst kollaboratives Lernen Individuen als Gruppenmitglieder,
umfasst aber auch PhŠnomene wie Aushandeln und Teilen von Bedeutungen –
inklusive der Konstruktion und Aufrechterhaltung gemeinsamer Auffassungen von
der Aufgabe – welche interaktiv in Gruppenprozessen erreicht werden.
Kollaboratives Lernen ist mit individuellem Lernen verknŸpft, kann aber nicht
darauf reduziert werden. Das VerhŠltnis zwischen den beiden Sichtweisen auf
kollaboratives Lernen als einen Gruppenprozess einerseits und als eine
Aggregation individueller VerŠnderungen andererseits ist eine Spannung im
Innersten von CSCL.
FrŸhere
Untersuchungen des Gruppenlernens betrachteten Lernen als einen fundamentalen
individuellen Prozess. Der Umstand, dass die Individuen in Gruppen arbeiteten,
wurde als eine das individuelle Lernen beeinflussende Kontextvariable
behandelt. Im Gegensatz hierzu analysiert CSCL das Lernen als Gruppenprozess.
Es sind Analysen sowohl mit den Individuen als auch den Gruppen als
Untersuchungseinheit notwendig. Dies macht die CSCL-Methodologie einzigartig,
wie wir spŠter in dieser Abhandlung sehen werden.
In gewisser
Hinsicht ist CSCL entstanden als Reaktion auf vorangegangene Versuche, Technologie
in der Bildung einzusetzen, sowie auf vorherige AnsŠtze, kollaborative
PhŠnomene mit den traditionellen Methoden der Learning Sciences zu verstehen.
Die Learning Sciences als Ganzes hat sich von der Fokussierung auf
individuelles Lernen hin zu einer BerŸcksichtigung beider Faktoren – individuelles
Lernen und Gruppenlernen – bewegt. Die Entwicklung von CSCL entsprach
dieser Bewegung.
Drei frŸhe
Projekte – das ENFI-Projekt an der Gallaudet-UniversitŠt, das
CSILE-Projekt an der UniversitŠt Toronto und das Fifth Dimension-Projekt an der
UniversitŠt von Kalifornien in San Diego (UCSD) – waren VorlŠufer dessen,
was sich spŠter zum Forschungsgebiet CSCL entwickeln sollte. Alle drei
Projekte erkundeten Mšglichkeiten, wie Technologie zur Verbesserung des Lernens
im Zusammenhang mit Lese- und SchreibfŠhigkeiten der Lernenden eingesetzt
werden kann.
Im ENFI-Projekt
wurden einige der frŸhesten Beispiele von Programmen zum computerunterstŸtzten
Schreiben bzw. ãCSCWritingÒ (Bruce & Rubin, 1993; Gruber, Peyton, &
Bruce, 1995) entwickelt. Studenten an der
Gallaudet-UniversitŠt sind gehšrlos bzw. hšrgeschŠdigt, und viele beginnen das
Studium mit Defiziten in der FŠhigkeit zur schriftlichen Kommunikation. Ziel des
ENFI-Projekts war es, dass sich die Studenten auf das Schreiben in einer neuen
Art und Weise einlassen, um ihnen die Idee des Schreibens mit einer ãStimmeÒ
und des Schreibens fŸr ein Publikum nahezubringen. Die entwickelten
Technologien, obwohl zu ihrer Zeit fortschrittlich, mšgen nach
heutigem Standard rudimentŠr erscheinen. Es wurden spezielle Klassenzimmer eingerichtet,
in denen die Tische mit Computern in einem Kreis angeordnet waren, und eine
– heutigen Chatprogrammen Šhnelnde – Software entwickelt, mit der
die Studenten zusammen mit ihrem Dozenten textbasierte Diskussionen durchfŸhren
konnten. Die im ENFI-Projekt entworfene Technologie war darauf
ausgerichtet, eine neue Form der Bedeutungskonstruktion zu ermšglichen, indem
es ein neues Medium zur textuellen Kommunikation bereitstellte.
Ein anderes
frŸhes und einflussreiches Projekt wurde von Bereiter und Scardamalia an der
UniversitŠt Toronto durchgefŸhrt. Ausgangspunkt war die Erfahrung, dass in
Schulen oft nur oberflŠchlich und schwach motiviert gelernt wird. Sie
kontrastierten das in den Schulen stattfindende Lernen mit dem Lernen in
Òknowledge-building communitiesÓ (Bereiter, 2002; Scardamalia & Bereiter, 1996) wie es beispielsweise bei der Bildung von
wissenschaftlichen Gemeinschaften erfolgt, die sich zu einem gemeinsamen
Forschungsthema etabliert. Im Project CSILE (Computer Supported Intentional
Learning Environment), spŠter bekannt geworden als Knowledge Forum,
entwickelten sie Technologien und Lehr-Lernmethoden, um das Klassenzimmer
zu knowledge-building community umzustrukturieren. €hnlich dem ENFI-Projekt war
das Ziel von CSILE, das Schreiben bedeutungsvoller zu machen, indem Lernende
zu gemeinsamer Textproduktion angeregt wurden. Die in den beiden Projekten
erzeugten Texte waren jedoch recht verschieden. Die ENFI-Texte waren
konversational, sie wurden spontan produziert und Ÿblicherweise nicht Ÿber
das Ende des Unterrichts hinweg aufgehoben. Im Gegensatz hierzu waren die
CSILE-Texte eher archivalisch und Šhnlich konventionellen Lehrtexten.
Wie fŸr CSILE stand
auch fŸr das Fifth-Dimension-Projekt (5thD) am Anfang ein Interesse an der
Verbesserung von LesefŠhigkeiten (Cole, 1996). Es begann mit einem von Cole und Kollegen an der
Rockefeller-UniversitŠt organisierten au§erschulischen Programm. Nachdem das
Laboratory of Comparative Human Cognition (LCHC) an die UCSD gezogen war, wurde
5thD zu einem integrierten System von zumeist computerbasierten AktivitŠten zur
Verbesserung der Lese- und ProblemlšsefŠhigkeiten der SchŸler ausgebaut. Als
ein Mechanismus zur Kennzeichnung des Lernfortschritts wie auch der
Koordination der Teilnahme wurde ein ãIrrgartenÒ (maze) bereitgestellt, eine spielbrettartig aufgebaute Sammlung
unterschiedlicher RŠume, die verschiedene spezifische AktivitŠten
reprŠsentieren. Die AktivitŠten der SchŸler wurden durch erfahrenere
Altersgenossen und freiwillige Studenten der School of Education unterstŸtzt.
Das Programm wurde anfangs an vier Einrichtungen in San Diego eingefŸhrt und
spŠter auf viele andere Einrichtungen weltweit ausgedehnt (Nicolopoulou & Cole, 1993).
Alle Projekte
– ENFI, CSILE und 5thD – hatten das Ziel, den Unterricht mehr auf
die Bedeutungskonstruktion auszurichten. Alle drei Projekte nutzten dafŸr
Informationstechnologie und fŸhrten neue Formen organisierter sozialer
AktivitŠten im Unterricht ein. In dieser Hinsicht bereiteten sie das Fundament
fŸr das sich spŠter entwickelnde Forschungsgebiet CSCL.
1983 wurde in San
Diego ein Workshop zum Thema ãjoint problem solving and microcomputersÓ
(ãGemeinsames Problemlšsen und MikrocomputerÒ) durchgefŸhrt. Sechs Jahre spŠter
wurde ein NATO-finanzierter Workshop in Maratea, Italien abgehalten. Dieser
Maratea-Workshop im Jahr 1989 wird von vielen als die Geburtsstunde des CSCL angesehen, da es die erste
šffentliche und internationale Versammlung war, die den Begriff
Òcomputer-supported collaborative learningÓ in ihrem Titel fŸhrte.
Die erste
vollwertige CSCL-Konferenz wurde im Herbst 1995 an der UniversitŠt von Indiana organisiert. Anschlie§ende
internationale Treffen fanden mindestens zweijŠhrig mit den Konferenzen 1997 an
der UniversitŠt Toronto, 1999 an der UniversitŠt Stanford, 2001 an der
UniversitŠt Maastricht, Niederlande, 2002 an der UniversitŠt Colorado, 2003 an
der UniversitŠt Bergen, Norwegen und 2005 an der Nationalen Zentralen
UniversitŠt Taiwan statt.
Seit dem NATO-Workshop in Maratea entwickelte sich eine spezialisierte Literatur, die die Theorie und Forschung im Bereich CSCL dokumentiert. Vier der einflussreichsten Monographien sind: Newman, Griffin & Cole (1989) The Construction Zone, Bruffee (1993) Collaborative Learning, Crook (1994) Computers and the Collaborative Experience of Learning, und Bereiter (2002) Education and Mind in the Knowledge Age.
ZusŠtzlich gibt es eine Reihe herausgegebener Sammlungen, die speziell die CSCL-Forschung adressieren: OÕMalley (1995) Computer-Supported Collaborative Learning, Koschmann (1996b) CSCL: Theory and Practice of an Emerging Paradigm, Dillenbourg (1999) Collaborative Learning: Cognitive and Computational Approaches, und Koschmann, Hall & Miyake (2002) CSCL2: Carrying Forward the Conversation.
Eine von Kluwer
(mittlerweile Springer) publizierte CSCL-Buchreihe umfasst momentan fŸnf BŠnde (Andriessen, Baker, & Suthers, 2003; Bromme,
Hesse, & Spada, 2005; Goodyear et al.,
2004; Strijbos, Kirschner, & Martens, 2004; Wasson, Ludvigsen, & Hoppe,
2003). Die TagungsbŠnde der CSCL-Konferenzen
sind der primŠre CSCL-Publikationsort. Weiterhin behandeln mehrere
Fachzeitschriften das Forschungsgebiet CSCL, insbesondere das Journal of the Learning Sciences. 2006
wird das International Journal of
Computer-Supported Collaborative Learning erstmalig erscheinen. Obwohl die
CSCL-Community in ihren ersten Jahren vorrangig in Westeuropa und Nordamerika
angesiedelt war, hat sie sich in den letzten Jahren zu einer internationalen
Forschergemeinde entwickelt (Hoadley, 2005; Kienle & Wessner, 2005). Die Konferenz 2005 in Taiwan und die Einrichtung
der neuen internationalen Zeitschrift wurden mit dem Ziel geplant, die
Community verstŠrkt international zu etablieren.
Das
Forschungsgebiet CSCL kann frŸheren AnsŠtzen des Gebrauchs von Computern in der
Aus- und Weiterbildung gegenŸber gestellt werden. Koschmann (1996a) identifizierte die folgende historische Abfolge
von AnsŠtzen: (a) computer-assisted
instruction, (b) intelligente tutorielle Systeme, (c) ãLogo-as-LatinÒ, (d)
CSCL. (a) Computer-assisted instruction
war zu Beginn der 1960er Jahre ein behavioristischer Ansatz, der die frŸhen
Jahre der Computeranwendung in der Bildung dominierte. Lernen wurde vor
allem als ein EinprŠgen von Fakten aufgefasst. Wissensgebiete wurden in
elementare Fakten aufgespalten, die den Lernenden durch
Drill-and-Practice-Programme in einer logischen Abfolge prŠsentiert wurden.
Auch heute noch folgen viele kommerzielle Lernprogramme diesem Ansatz. (b)
Intelligente tutorielle Systeme basieren auf der kognitivistischen Philosophie,
die das Lernen in Form von mentalen Modellen und potentiell fehlerhafter
mentaler ReprŠsentationen analysiert. Die behavioristische Sichtweise, dass
Lernen ohne ein VerstŠndnis der WissensreprŠsentation und -verarbeitung
unterstŸtzt werden kann, wurde zurŸckgewiesen. Besonders in den 1970er Jahren
als vielversprechend angesehen, brachte dieser Ansatz Computermodelle Ÿber das
Lernen – den Aufbau mentaler Modelle – hervor. Indem die Aktionen
der Lernenden vor dem Hintergrund typischer Fehler in der mentalen
ReprŠsentation analysiert wurden, konnten die Computermodelle RŸckmeldung an
die Lernenden geben. (c) Basierend auf der Programmiersprache Logo wurde in den
1980er Jahren – ausgehend von der Argumentation, dass Lernende ihr Wissen
selbst aufbauen mŸssen – ãLogo-as-LatinÒ als konstruktivistischer Ansatz
geprŠgt. Dies brachte anregende Lernumgebungen hervor, in denen
die Lernenden die MŠchtigkeit des Schlussfolgerns anhand von Programmierkonstrukten
wie Funktionen, Unterprogrammen, Schleifen, Variablen, Rekursion etc.
erforschen und entdecken konnten. (d) Mitte der 1990er Jahre begannen
CSCL-AnsŠtze zu erkunden, wie mittels Computer die Lernenden
zusammengebracht werden kšnnen, um in kleinen Gruppen und Gemeinschaften
kollaborativ zu lernen. Motiviert durch sozialkonstruktivistische
und dialogische Theorien suchten diese Bestrebungen danach, den Lernenden durch
einen gelenkten Diskurs Gelegenheit zum gemeinsamen Lernen zu bieten und sie
bei der Konstruktion gemeinsamen Wissens zu unterstŸtzen.
Zur Zeit, als
Zentralrechner fŸr die Nutzung in Schulen verfŸgbar wurden und Mikrocomputer
begannen, in Erscheinung zu treten, war die KŸnstliche Intelligenz (KI) nahezu
auf der Hšhe ihrer PopularitŠt. Insofern war es nahe liegend, dass
Computerwissenschaftler, die an der Nutzung von Computern in
Bildungseinrichtungen interessiert waren, von den Versprechungen der KI
angezogen wurden. KI ist Software, die Verhalten imitiert, welches – von
Menschen ausgeŸbt – als intelligent betrachtet werden wŸrde (z. B.
Schach zu spielen, indem das FŸr und Wider verschiedener Zugfolgen
gegeneinander abgewogen wird). Intelligente tutorielle Systeme sind
Paradebeispiele fŸr KI, denn sie replizieren die Aktionen menschlicher Tutoren:
die Software gibt RŸckmeldung zu den Eingaben von Lernenden (z. B.
detaillierte Schritte beim Lšsen eines mathematischen Problems), indem die
Problemlšsestrategie analysiert wird, und sie gibt Hilfestellung, indem die
Aktionen der Lernenden mit programmierten Modellen korrekten und fehlerhaften
Verstehens verglichen werden. Auch heute noch ist dies ein aktives
Forschungsfeld innerhalb der Learning Sciences, es ist jedoch auf
Wissensbereiche beschrŠnkt, fŸr die mentale Modelle algorithmisch definiert
werden kšnnen.
In seiner
ambitioniertesten Form strebt der KI-Ansatz danach, den Computer bestimmte
Lehr- und Anleitungsfunktionen ausfŸhren zu lassen, die ansonsten die Zeit und
Intervention eines menschlichen Lehrers verlangen wŸrde. Bei CSCL liegt
der Fokus des Lernens eher auf dem Lernen durch Kollaboration mit anderen
Lernenden als auf dem Lernen von Lehrern. Demzufolge verschob sich die Rolle
der Computer weg von der Unterweisung (entweder in Form von Fakten im Falle der
computer-aided instruction oder in
Form von RŸckmeldung durch intelligente tutorielle Systeme) hin zur
KollaborationsunterstŸtzung, indem Medien zur Kommunikation und scaffolding fŸr produktive Interaktionen
zwischen den Lernenden bereitgestellt werden.
Die primŠre Form
der KollaborationsunterstŸtzung durch Computer (d. h. Computernetzwerke,
typischerweise Ÿber das Internet verbunden) liegt in der Bereitstellung eines
Mediums zur Kommunikation. Dies kann in Form von Email, Chat, Diskussionsforen,
Videokonferenzen, Instant Messaging u.Š. erfolgen. CSCL-Systeme beinhalten
Ÿblicherweise eine Kombination verschiedener Medien und reichern diese um
spezielle FunktionalitŠten an.
ZusŠtzlich
stellen CSCL-Umgebungen fŸr das kollaborative Lernen verschiedene Formen
pŠdagogischer UnterstŸtzung oder scaffolding bereit. Diese
kšnnen durch eher komplexe komputationale Mechanismen, wie beispielsweise
KI-Techniken, umgesetzt sein. Sie kšnnen alternative Sichten auf die laufende
Diskussion und die geteilte Information anbieten und RŸckmeldung
(mšglicherweise basierend auf einem Modell der group inquiry) geben. Ferner kšnnen sie die Zusammenarbeit
unterstŸtzen, indem Interaktionsmuster analysiert und RŸckmeldungen an die
Lernenden gegeben werden. In den meisten FŠllen ist die Rolle des Computers
zweitrangig – im Vordergrund steht der Kollaborationsprozess
zwischen den Lernenden (und oft auch dem Lehrer, Tutor und Mentor). Das Design
der Software zielt auf die UnterstŸtzung und nicht die Ersetzung dieser
menschlichen Gruppenprozesse.
Die Verschiebung
von mentalen Modellen individueller Kognition hin zur UnterstŸtzung kollaborierender
Gruppen hat enorme Implikationen fŸr den Fokus und die Methoden der Lernforschung.
Die Evolution des Forschungsgebietes CSCL wurde ma§geblich von der sukzessiven
Akzeptanz und Offenlegung dieser Implikationen bestimmt.
UngefŠhr zur Zeit
der ersten CSCL-Konferenz analysierten Dillenbourg, et al. (1996) den Stand der Forschung zum kollaborativen Lernen
folgenderma§en:
FŸr viele Jahre
tendierten die Theorien zum kollaborativen Lernen dazu, darauf zu fokussieren,
wie Individuen in Gruppen
funktionieren. Dies spiegelt eine Position wider, die in den 1970er und frŸhen
1980er Jahren sowohl in der Kognitionspsychologie wie auch der KŸnstlichen
Intelligenz vorherrschend war, in der Kognition als ein Produkt individueller
Leistung von Informationsverarbeitung und der Kontext sozialer Interaktion mehr
als die Basis individueller AktivitŠt und weniger als eigenes Forschungsthema
gesehen wurde. In jŸngerer Zeit wurde die
Gruppe selbst zur Analyseeinheit und der Fokus verschob sich auf die mehr
emergenten, sozial konstruierten Eigenschaften
der Interaktion.
Bei der
empirischen Forschung lag das anfŠngliche Ziel darin, zu ermitteln, ob und
unter welchen UmstŠnden kollaboratives Lernen effektiver als individuelles
Lernen ist. Die Forscher variierten verschiedene unabhŠngige Variablen
(Gruppengrš§e, Gruppenzusammensetzung, Aufgabeneigenschaften, Kommunikationsmedien
usw.). Jedoch interagierten diese Variablen in einer Weise miteinander, die es
nahezu unmšglich machte, kausale ZusammenhŠnge zwischen den Bedingungen und
Effekten der Kollaboration herzustellen. Daher begannen in jŸngerer Zeit die
empirischen Studien damit, weniger auf die Bestimmung
der Parameter effektiver Kollaboration zu fokussieren, sondern mehr zu
versuchen, die Mediatorrolle dieser
Variablen fŸr die Interaktion zu verstehen. Diese Verlagerung hin zu einem
eher prozessorientierten Verstehen erfordert neue Werkzeuge zur Analyse und Modellierung von Interaktionen. (S.
189, Hervorhebungen hinzugefŸgt)
Die von
Dillenbourg et al. betrachtete Forschung – welche den Einfluss der
Manipulation von Kollaborationsvariablen auf Ma§e individuellen Lernens
untersuchte – lieferte keine klaren Resultate. Die EinflŸsse des
Geschlechts oder der Gruppenzusammensetzung (d. h. heterogene oder
homogene Kompetenzniveaus) kšnnen je nach Alter, Wissensgebieten, Lehrer etc.
všllig verschieden sein. Dies verletzte nicht nur die methodologische Annahme
der VariablenunabhŠngigkeit, sondern warf auch Fragen auf, wie das hinter
den Effekten Liegende zu verstehen ist. Den Ursachen auf der Spur zu sein
bedeutete zu verstehen, was in den Gruppeninteraktionen passiert und welche
Faktoren fŸr die beobachteten Effekte verantwortlich sind. Dies widerum
verlangte die Entwicklung neuer Methodologien zur Analyse und Interpretation
der Gruppeninteraktionen als solche. Der Fokus lag nicht lŠnger auf dem
VerstŠndnis, was ãin den KšpfenÒ der individuellen Lerner passiert, sondern was
zwischen und mit ihnen in ihren Interaktionen passiert.
Die Verschiebung
hin zur Gruppe als Analyseeinheit fŠllt mit der Fokussierung auf die Gemeinschaft
als Vermittlerin situierten Lernens (Lave, 1991) sowie auf die kollaborative Wissenskonstruktion
(Scardamalia & Bereiter, 1991) zusammen. Aber sie verlangte auch nach einer
Erarbeitung einer social theory of mind,
wie zum Beispiel von Vygotsky (1930/1978) skizziert, welche das VerhŠltnis zwischen
individuellen Lernern und kollaborativem Lernen in Gruppen oder Gemeinschaften
klŠrt.
Nach Vygotsky
unterscheiden sich die EntwicklungsfŠhigkeiten individueller Lerner zwischen
kollaborativen Situationen und selbststŠndigem Arbeiten. Sein Konzept der ãZone
der proximalen EntwicklungÒ ist definiert als Distanz zwischen diesen
beiden Entwicklungsniveaus. Das hei§t, man kann das in kollaborativen
Situationen stattfindende Lernen – selbst das individuelle – nicht
mit Pre- und Posttests messen, welche die individuellen FŠhigkeiten beim
selbststŠndigen Bearbeiten erfasst. Um herauszufinden, was wŠhrend des
kollaborativen Lernens stattfindet, hilft es nicht, Ÿber mentale Modelle in den
Kšpfen der Individuen zu theoretisieren, denn dies erfasst nicht die gemeinsame
Bedeutungskonstruktion wŠhrend der kollaborativen Interaktion.
Kollaboration ist
in erster Linie als ein Prozess der gemeinsamen Bedeutungskonstruktion
konzeptualisiert. Die Bedeutungskonstruktion wird nicht als Ausdruck mentaler
ReprŠsentation der individuellen Teilnehmer aufgefasst, sondern als eine
interaktionale Errungenschaft. Die Bedeutungskonstruktion kann als in einer
Abfolge von €u§erungen bzw. Nachrichten mehrerer Teilnehmer stattfindend
analysiert werden. Die Bedeutung kann nicht individuellen €u§erungen oder
einzelnen Lernenden zugeschrieben werden, denn die Bedeutung hŠngt
typischerweise von den indexikalischen BezŸgen auf die geteilte Situation,
elliptischen Referenzen auf vorangegangene €u§erungen und projektiven
PrŠferenzen zukŸnftiger €u§erungen ab (Stahl, 2006).
Das Beobachten
von Lernen in kollaborativen Situationen unterscheidet sich vom Beobachten des
Lernens isolierter Lerner. Erstens zeigen die Teilnehmer in Kollaborationssituationen
notwendigerweise ihr Lernen als Teil des Kollaborationsprozesses. Zweitens
finden die Beobachtungen eher in relativ kurzen Perioden der Gruppeninteraktion
statt im Vergleich zu den langen Perioden zwischen Pre- und Posttests.
Ironischerweise
mag es einfacher sein, wenn man Lernen in Gruppen statt bei Individuen
untersucht. Dies liegt an der Besonderheit von Kollaboration, dass die
Teilnehmer einander ihr VerstŠndnis dessen, was in der Interaktion konstruiert
wurde, prŠsentieren. Mit den wŠhrend der Kollaboration produzierten €u§erungen,
Texten und Diagrammen beabsichtigten die Teilnehmer, ihr Verstehen
darzustellen. Das ist die Basis erfolgreichen Kollaborierens. Forscher kšnnen
sich diese Darstellungen zunutze machen (vorausgesetzt, dass sie die
interpretativen Kompetenzen der Teilnehmer teilen und sie adŠquate
Aufzeichnungen dieser Darstellungen zum Beispiel in Form digitaler Videos
festhalten kšnnen). Forscher kšnnen dann den kollaborativen Prozess
rekonstruieren, in welchem die Gruppenmitglieder die geteilten Bedeutungen
– das durch die Gruppe Gelernte – konstruierten.
Auf der
Ethnomethodologie basierende Methodologien wie die Konversationsanalyse (Sacks, 1992; ten Have, 1999) oder Videoanalyse (Koschmann, Stahl, & Zemel, 2006) erbringen detaillierte Fallstudien der
kollaborativen Bedeutungskonstruktion. Diese Fallstudien sind nicht rein
anekdotisch. Sie basieren auf streng wissenschaftlichen Prozeduren mit
intersubjektiver ValiditŠt, auch wenn sie in ihrer Natur interpretativ und
nicht quantitativ sind. Desweiteren kšnnen sie allgemein anwendbare Ergebnisse
reprŠsentieren, denn Menschen teilen weitgehend die Methoden, mit denen sie
interagieren (zumindest innerhalb einer angemessen definierten Gemeinschaft
oder Kultur).
Wie kann die
Analyse der interaktionalen Methoden bei der Gestaltung von
CSCL-Technologien und -PŠdagogik helfen? Diese Frage zielt auf die komplexe
Wechselwirkung von Bildung und Computern beim computerunterstŸtzten
kollaborativen Lernen.
Edwin Thorndike (1912), ein BegrŸnder des traditionellen
Bildungsansatzes, schrieb einmal:
Wenn durch ein
Wunder an mechanischer Raffinesse ein Buch einmal so gestaltet werden kann,
dass nur der die zweite Seite sehen kann, der all das gemacht hat, worauf Seite
eins zielte, und desgleichen fŸr alle weiteren Seiten, dann kšnnte vieles von
dem, was momentan persšnlichen Unterricht erfordert, durch Gedrucktes
erreicht werden ... Kindern kšnnte Ÿberdies gelehrt werden, Materialien derart
zu nutzen, wie es auf lange Sicht am nŸtzlichsten ist. (S. 165)
Dieses Zitat ist
in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Erstens legt es nahe, dass die zentrale
Idee computerunterstŸtzter Instruktion der tatsŠchlichen Entwicklung von
Computern lange voraus ging. Wichtiger jedoch zeigt es, wie das Ziel der
Erforschung von Bildungstechnologien eng verknŸpft und in der Tat nicht zu
unterscheiden ist vom konventionellen Ziel der Bildungsforschung, nŠmlich
die operational definierbare Steigerung von Lernen. Thorndike schwebte eine
Bildungswissenschaft vor, in der jegliches Lernen messbar ist und darauf
basierend alle pŠdagogischen Innovationen experimentell
evaluiert werden kšnnen. Historisch ist die Erforschung von
Bildungstechnologien eng mit dieser Tradition verknŸpft und sie stellt eine
Spezialisierung innerhalb dieser dar (cf., Cuban, 1986).
In der
Vergangenheit haben Bildungsforscher Lernen als rein psychologisches PhŠnomen
betrachtet. Drei wesentliche Merkmale werden Lernen zugeschrieben: Erstens
stellt es eine Antwort auf und Aufnahme von Erfahrung dar. Zweitens wird
Lernen immer als eine Ÿber die Zeit hinweg erfolgende €nderung aufgefasst. Und
schlie§lich wird Lernen als ein Prozess gesehen, der nicht direkt beobachtet
werden kann (Koschmann, 2002b). Diese Sicht ist kulturell so stark verwurzelt,
dass es schwer fŠllt, lernen in einer anderen Weise zu begreifen. Sie stŸtzt
sich auf etablierte erkenntnistheoretische und geistesphilosophische
Traditionen.
Die
zeitgenšssische Philosophie hat diese Traditionen jedoch in Frage gestellt. Die
sogenannten ãedifying philosophersÒ (Rorty, 1974) – James, Dewey, Wittgenstein und Heidegger
– bŠumten sich gegen die Sicht auf, dass Lernen ein nicht zugŠngliches
Ereignis sei, durch das Wissen einem individuellen Geist zugefŸhrt wird. Sie
strebten nach einem neuen VerstŠndnis von Lernen und Wissen, das in der
Welt der alltŠglichen Dinge verortet ist. CSCL machte sich dieses situiertere
LernverstŠndnis zu eigen und wies damit die Grundfeste konventioneller
Bildungsforschung zurŸck. CSCL verortet Lernen in der Bedeutungsaushandlung,
die statt in den individuellen Kšpfen in der sozialen Welt ausgetragen wird.
Von den verschiedenen sozial orientierten Lerntheorien entsprechen die social practice theory (Lave & Wenger, 1991) und die dialogical
theories of learning (e.g., Hicks, 1996) am direktesten der Sicht auf Lernen als eine
sozial organisierte Bedeutungskonstruktion. Die social practice theory fokussiert auf einen Aspekt der
Bedeutungsaushandlung: der Aushandlung sozialer IdentitŠt innerhalb einer
Gemeinschaft. Dialogical theories
verorten Lernen in der emergenten Bedeutungsentwicklung innerhalb sozialer
Interaktion. Zusammengenommen beinhalten sie eine Basis fŸr das Nachdenken Ÿber
und die Erforschung von Lernen.
Das
Gestaltungsziel bei CSCL ist es, Artefakte, AktivitŠten und Umgebungen zu
schaffen, welche die Praxis der Bedeutungskonstruktion von Gruppen verbessert.
Die gro§en Fortschritte der letzten Dekaden in der Computer- und
Kommunikationstechnologien, wie dem Internet, haben die Art und Weise, wie wir
arbeiten, spielen und lernen grundlegend verŠndert. Jedoch hat Technologie,
egal wie gut oder ausgeklŸgelt sie auch gestaltet ist, fŸr sich genommen die
FŠhigkeit, die Praxis zu verŠndern. Um Mšglichkeiten zur Verbesserung der
Praxis zu schaffen, bedarf es vielfŠltigerer Formen des Designs (unter
Einbringung von Expertise, Theorie und Praxis verschiedener Disziplinen): ein
Design, das das Curriculum (PŠdagogik, Didaktik), die Ressourcen
(Informationswissenschaft, Kommunikationswissenschaft), die
Partizipationsstrukturen (Interaktionsdesign), die Werkzeuge
(Designstudien) und den umgebenden Raum (Architektur) adressiert.
Wie der Titel
eines Kommentars von LeBaron (2002) nahe legt, ÒTechnology does not exist independent
of its use.Ó Man ersetze ÒTechnologieÓ durch ÒAktivitŠten, Artefakte und UmgebungenÒ,
doch die Botschaft bleibt dieselbe – diese Elemente allein kšnnen nicht
neue Formen des Gebrauchs definieren, sondern sie werden stattdessen innerhalb
des Gebrauchs konstituiert. Eine Umgebung fŸr eine gewŸnschte Form des
Gebrauchs wird zu einer solchen erst durch die organisierten Aktionen seiner
ãBewohnerÒ. Werkzeuge und Artefakte sind nur auf die Weisen Werkzeuge und Artefakte,
wie sie von den Teilnehmern im direkten Gebrauch ausgerichtet und relevant
gemacht werden. Selbst AktivitŠten werden als solche nur dadurch kenntlich
gemacht, wie sich Teilnehmer auf sie als geordnete Formen gemeinsamen Handelns
ausrichten.
Deshalb muss
Softwaredesign fŸr CSCL einher gehen mit der Analyse der im entstehenden und
fortlaufenden Gebrauch konstruierten Bedeutungen. Bedeutungen reflektieren
vergangene Erfahrung und sind offen fŸr endlose Aushandlung und
Neubewertung. Ferner haben weder die Analytiker noch die Teilnehmer einen
privilegierten Zugang zu den subjektiven Interpretationen anderer. Abgesehen
von diesen Punkten engagieren sich Teilnehmer routiniert in koordinierten
AktivitŠten und handeln, als ob ein gemeinsames VerstŠndnis sowohl mšglich war
als auch erreicht wurde. Eine fundamentale Frage hierbei ist: wie wird dies
erreicht? Um Technologie fŸr die UnterstŸtzung kollaborativen Lernens und
kollaborativer Wissenskonstruktion gestalten zu kšnnen, mŸssen wir genauer
verstehen, wie kleine Gruppen von Lernenden mittels verschiedener Artefakte und
Medien gemeinsame Bedeutungen konstruieren.
Der Frage, wie IntersubjektivitŠt erreicht wird, wurde
in einer Vielfalt spezialisierter Disziplinen nachgegangen: in der Pragmatik (Levinson, 2000; Sperber & Wilson, 1982), der Sozialpsychologie (Rommetveit, 1974), der linguistischen Anthropologie (Hanks, 1996) und der Soziologie (cf. Goffman, 1974), speziell der soziologischen Forschung in der
Ethnomethodologischen Tradition (Garfinkel, 1967; Heritage, 1984). Das Problem der IntersubjektivitŠt ist von besonderer
Bedeutung fŸr all jene, die verstehen mšchten, wie Lernen innerhalb
von Interaktion hervor gebracht wird. Lernen kann aufgefasst werden als
ein Akt, durch den divergente Bedeutungen miteinander in Kontakt gebracht
werden (Hicks, 1996), und Unterricht als soziale und materielle Arrangements,
um solche Aushandlungen zu fšrdern. Die Analyse der Praxis von Bedeutungskonstruktion
ruft nach der Zuhilfenahme der Methoden und Anliegen der Psychologie
(besonders der diskursiven und kulturellen Varianten), Soziologie (besonders
der mikrosoziologisch und ethnomethodologisch ausgerichteten
Traditionen), Anthropologie (einschlie§lich der linguistischen
Anthropologie und der Anthropologie der konstruierten Umgebung), Pragmatik,
Philosophie, Kommunikationswissenschaft, Organisationswissenschaften
und anderen.
Die CSCL-Forschung
beinhaltet sowohl Analyse- als auch Designbestandteile. Die Analyse der
Bedeutungskonstruktion erfolgt induktiv und ist indifferent gegenŸber
Reformzielen. Sie sucht einzig zu erkennen, was Menschen in einer Interaktion
von Augenblick zu Augenblick machen, ohne ein Rezept und ohne Bewertung.
Gestaltung auf der anderen Seite ist von Natur aus vorschreibend – jede
Bestrebung hin zu einer Reform beginnt mit der Annahme, dass es bessere und
schlechtere Wege gibt, wie man etwas machen kann. Damit man fŸr die Gestaltung
einer verbesserten Bedeutungskonstruktion sorgen kann, bedarf es einiger Mittel
zur genauen Untersuchung der Praxis. In dieser Hinsicht ist das VerhŠltnis
zwischen Analyse und Design symbiotisch – das Design muss durch die
Analyse sachkundig sein und auch die Analyse hŠngt in ihrer Ausrichtung auf das
Analyseobjekt von der Gestaltung ab (Koschmann
et al., 2006).
CSCL muss die
Arbeit der Selbsterfindung fortfŸhren. Neue Theoriequellen mŸssen eingefŸhrt,
Analysen der Lernerpraxis prŠsentiert und Artefakte produziert werden, und
damit einhergehend Theorien darŸber, wie diese die Bedeutungskonstruktion
verbessern kšnnen. Die Gestaltung von CSCL-Technologien, welche neue
Mšglichkeiten zum kollaborativen Lernen eršffnen, muss auf der Analyse der
Natur kollaborativen Lernens basieren.
Koschmann (2002a) prŠsentierte eine programmatische Beschreibung
von CSCL in seiner Keynote zur CSCL 2002:
CSCL ist ein
Forschungsbereich, der sich hauptsŠchlich mit Bedeutung und der Praxis der
Bedeutungskonstruktion im Kontext gemeinsamer AktivitŠten sowie den Wegen, wie
diese Praxis durch gestaltete Artefakte mediiert wird, befasst. (p. 18)
Der
mšglicherweise im Detail am schwersten zu verstehende Aspekt des kollaborativen
Lernens kann umschrieben werden als ãPraxis der Bedeutungskonstruktion im
Kontext gemeinsamer AktivitŠtenÒ, als intersubjektives
Lernen (Suthers, 2005) oder als Gruppenkognition
(Stahl, 2006). Das ist Lernen, welches nicht blo§ interaktional
erreicht sondern durch die Interaktionen zwischen den Teilnehmern tatsŠchlich konstituiert wird. Garfinkel folgend
argumentieren Koschmann et al. (2006) fŸr ein Studium der ãMethoden der
MitgliederÒ zur Bedeutungskonstruktion: Òhow participants in such
[instructional] settings actually go about doing learningÓ (Hervorhebung im
Original). ZusŠtzlich zum Verstehen, wie die kognitiven Prozesse der Teilnehmer
durch die soziale Interaktion beeinflusst werden, mŸssen wir verstehen, wie
sich in den Interaktionen zwischen Teilnehmern die Lernereignisse selbst
vollziehen.
Das Studium der
gemeinsamen Bedeutungskonstruktion spielt noch keine herausragende Rolle in der
CSCL-Praxis. Selbst dort, wo Interaktionsprozesse (statt individueller
Lernergebnisse) im Detail untersucht werden, erfolgen die Analysen
typischerweise durch Zuweisen von Kodierungskategorien und
AuszŠhlen vordefinierter Merkmale. In der Tat ersetzen jedoch die Kodierungen
das interessierte PhŠnomen durch vordefinierte Verhaltenskategorien, statt das
danach getrachtet wird, diese PhŠnomene in ihrer einzigartigen Situation zu
entdecken (Stahl, 2002).
Einige wenige in
der CSCL-Literatur veršffentlichte Studien haben dieses Problem der
Beschreibung der Konstitution von IntersubjektivitŠt in der Interaktion
adressiert (zum Beispiel, Koschmann et al., 2006; Koschmann et
al., 2003; Roschelle, 1996; Stahl, 2006).
Roschelles frŸhe
Studie gestaltete Software speziell fŸr die Bedeutungskonstruktion bezogen auf
Physik, definierte LerneraktivitŠten, um die Lernenden fŸr die gemeinsame
Problemlšsung zu gewinnen, und analysierte ihre kollaborative Praxis im
Mikrodetail. Koschmanns Arbeit war generell auf die Methoden der Teilnehmer zur
Problematisierung fokussiert: Wie Gruppen von Lernenden kollektiv eine
Situation als problematisch und nach weiterer spezifischer Analyse verlangend
charakterisieren.
Stahl (2006) argumentiert, dass kleine Gruppen aus
verschiedenen GrŸnden die ergiebigste Einheit fŸr das Studium intersubjektiver
Bedeutungskonstruktion sind. Der einfachste ist, dass in kleinen Gruppen die
Methoden der Mitglieder zum intersubjektiven Lernen beobachtet werden kšnnen.
Gruppen mit einigen wenigen Mitgliedern erlauben es dem gesamten Spektrum
sozialer Interaktionen, zum Zuge zu kommen, sind jedoch nicht so gro§, als dass
die Teilnehmer und ebenso die Forscher notwendigerweise aus den Augen
verlieren, was vor sich geht. Die gemeinsame Konstruktion von Bedeutung
ist fŸr die Forschung am sichtbarsten und verfŸgbarsten in der
Analyseeinheit der Kleingruppe, in der sie als Gruppenkognition auftritt. DarŸber hinaus liegen Kleingruppen auf
der Grenze zwischen Individuen und Gemeinschaften und vermitteln zwischen
diesen. Der in den Kleingruppen stattfindende Wissensaufbau wird
ãinternalisiert durch die Mitglieder mittels individuellem Lernens und
externalisiert in ihren Gemeinschaften als feststellbares WissenÒ (Stahl, 2006). Jedoch sollten Kleingruppen nicht die einzig
untersuchte soziale GranularitŠt sein. Analysen weitreichender VerŠnderungen in
Gemeinschaften und Organisationen kšnnen zu einem VerstŠndnis emergenter
PhŠnomene sozialen Lernens fŸhren und die Rolle der diese VerŠnderungen
vorantreibenden eingebetteten Gruppen aufhellen.
Das Studium der
interaktionalen BewŠltigung intersubjektiven Lernens bzw. der Gruppenkognition
fŸhrt zu interessanten Fragen, die zu den herausfordernsten jeder Wissenschaft
des Sozialverhaltens gehšren und sogar unsere Natur als bewusste Menschen
berŸhren. Finden kognitive PhŠnomene trans-personal im Gruppendiskurs statt?
Wie ist es fŸr dem Lernen, Ÿblicherweise als eine kognitive Funktion angesehen,
mšglich, Ÿber Menschen und Artefakte verteilt zu sein? Wie kšnnen wir Wissen
als bewŠltigte Praxis und weniger als ein Besitzoder gar PrŠdisposition verstehen?
In CSCL-Kontexten
sind die Gruppeninteraktionen zwischen den Individuen durch Computerumgebungen
vermittelt. Die zweite HŠlfte von Koschmanns programmatischer Definition des
CSCL-Arbeitsgebietes besteht aus ãden Wegen, wie diese Praxis [der
Bedeutungskonstruktion im Kontext gemeinsamer AktivitŠten] durch gestaltete
Artefakte mediiert wirdÒ. Die ComputerunterstŸtzung fŸr die
intersubjektive Bedeutungskonstruktion ist es, was dieses Feld einzigartig
macht.
Die
technologische Seite der CSCL-Agenda fokussiert auf die Gestaltung und das
Studium grundlegend sozialer Technologien. Grundlegend sozial zu sein bedeutet,
dass die Technologie spezifisch zur Vermittlung und Anregung sozialer Akte, die
das Gruppenlernen konstituieren und zum individuellen Lernen fŸhren, gestaltet ist.
Das Design sollte die einzigartigen Mšglichkeiten der Technologie wirksam
einsetzen, statt LernunterstŸtzung zu replizieren, die auch durch andere Mittel
erfolgen kann, oder (schlimmer noch) die Technologie zu etwas zu machen, fŸr
das sie nicht geeignet ist. Was ist das Einzigartige an der
Informationstechnologie, welches diese Rolle ausfŸllen kann?
á
Computationale
Medien sind rekonfigurierbar. ReprŠsentationen sind dynamisch: es ist einfach,
Dinge hin und her zu schieben und Aktionen rŸckgŠngig zu machen. Es ist
einfach, diese Aktionen woanders zu replizieren: Zeit und Raum kšnnen
ŸberbrŸckt werden. Diese Merkmale machen die Informationstechnologie als
ãKommunikationskanalÒ attraktiv, aber wir sollten das Potential der
Technologie, neue Interaktionen mšglich zu machen, ausnutzen und nicht
versuchen, eine Nachbildung der Face-to-Face-Interaktion zu erzwingen.
á
Computervermittelte
Kommunikationsumgebungen ãverwandeln Kommunikation in SubstanzÒ (Dillenbourg, 2005). Eine Aufzeichnung der AktivitŠt wie auch das
Ergebnis kšnnen aufgehoben, wieder abgespielt und sogar verŠndert werden. Wir
sollten das Potential der persistenten Aufzeichnung der Interaktion
und Kollaboration als Ressource fŸr das intersubjektive Lernen
erkunden.
á
Computationale
Medien kšnnen den Arbeitsplatzzustand und die Interaktionssequenzen analysieren
und sich entsprechend deren Merkmale selbst umkonfigurieren oder Anzeigen
erzeugen. Wir sollten das Potential adaptiver Medien zum Beeinflussen des
Verlaufs intersubjektiver Prozesse erforschen und uns ihre FŠhigkeiten zur
Aufforderung, Analyse und selektiven RŸckmeldung zunutze machen.
Menschliche
Kommunikation und der Gebrauch reprŠsentationaler Ressourcen fŸr diese Kommunikation
sind hochflexibel: Technologien kšnnen Mšglichkeiten eršffnen, sie kšnnen
jedoch nicht Bedeutungen fixieren oder gar kommunikative Funktionen festlegen (Dwyer & Suthers, 2005). Vor diesem Hintergrund sollte die CSCL-Forschung
die einzigartigen Vorteile elektronischer Medien identifizieren und erkunden,
wie diese durch die Kollaborierenden genutzt werden und wie sie den
Verlauf der Bedeutungskonstruktion beeinflussen. Dann werden wir Technologien
gestalten, die Funktionszusammenstellungen anbieten, die durch flexiblen Formen
der Anleitung Teilnehmer in die Lage versetzen, sich interaktional in das Lernen
einzubringen.
Zur Zeit kann
CSCL als aus drei methodologischen Traditionen bestehend charakterisiert
werden: experimentell, deskriptiv und iterative Gestaltung.
Viele empirische
CSCL-Studien folgen dem vorherrschenden experimentellen
Paradigma, das eine Interventions- mit einer Kontrollbedingung auf eine oder
mehrere Variablen hin vergleicht (e.g., Baker & Lund, 1997; Rummel & Spada,
2005; Suthers & Hundhausen, 2003; Van Der Pol, Admiraal, & Simons,
2003; Weinberger et al., 2005). In den meisten dieser Studien erfolgt die
Datenanalyse durch ãkodieren und zŠhlenÒ: Interaktionen werden kategorisiert
und/oder Lernergebnisse gemessen und Gruppenmittelwerte mittels
statistischer Methoden verglichen, so dass allgemeine Folgerungen Ÿber den
Einfluss der manipulierten Variablen auf das aggregrierte (durchschnittliche)
Gruppenverhalten abgeleitet werden kšnnen. Diese Studien analysieren nicht
direkt das BewŠltigen intersubjektiven Lernens. Solch eine Analyse muss eher
die Struktur und das Ziel einzigartiger FŠlle von Interaktionen betrachten, als
Verhaltenskategorien zu zŠhlen und zu aggregieren.
Die
ethnomethodologische Tradition (fŸr CSCL beispielhaft erlŠutert durch Koschmann et al., 2006; Koschmann et al., 2003; Roschelle, 1996; Stahl,
2006) ist eher fŸr deskriptive
Fallanalysen geeignet. Videos oder Transkripte von Lernern oder anderen
Mitgliedern einer Lerngemeinschaft werden studiert, um die Methoden, mit
denen Gruppen das Lernen gemeistert haben, freizulegen. Der
gegenstandsverankerte (grounded) Ansatz ist datengetrieben, man versucht,
Muster in den Daten zu entdecken, statt ihnen theoretische Kategorien aufzudrŠngen.
Die Analyse ist oft mikroanalytisch, eine kurze Episode wird in
gro§er Detailliertheit betrachtet. Deskriptive Methodologien sind gut
fŸr existenzquantifizierte Aussagen (z. B. dass eine Gemeinschaft sich
manchmal in einer bestimmten Praxis engagiert) geeignet. Als Wissenschaftler
und Designer wŸrden wir aber gerne kausale VerallgemeinerungenŸber die Effekte von Designentscheidungen
machen. Deskriptive Methodologien sind weniger dafŸr geeignet, quantitative
Beweise fŸr die Effekte einer Intervention zu liefern – dies ist das
Gebiet der experimentellen Methodologie. Aber oft kšnnen deskriptive
Methodologien verstehen, wie sehr allgemeine Praktiken funktionieren.
Den
traditionellen Analysemethoden der Experimentalpsychologie entgehen die
ãMitgliedermethodenÒ, durch welche kollaboratives Lernen erreicht wird
– die intersubjektive Bedeutungskonstruktion. Aber dies impliziert
nicht, dass jegliche CSCL-Forschung ethnomethodologisch sein sollte. Eher legen
die vorangegangenen Betrachtungen nahe, dass wir hybride Forschungsmethoden
entwickeln (Johnson & Onwuegbuzie, 2004). Weiterhin kšnnen mit experimentellen Designs
Interventionen verglichen werden, aber die Vergleiche sollten bezŸglich
der in den Mikroanalysen identifizierten Merkmale, wie Informationstechnologie
einerseits die Methoden der Mitglieder fŸr die gemeinsame
Bedeutungskonstruktion beeinflusst und wie die Mitglieder sich andererseits die
Technologie zueigen machen, erfolgen. Konzeptuell verŠndert sich die
Prozessanalyse vom ãKodieren und ZŠhlenÒ zum ãErkunden und VerstehenÒ der
Varianten, wie Designvariablen die UnterstŸtzung der Bedeutungskonstruktion
beeinflussen. Solche Analysen sind zeitaufwendig: wir sollten (als
Forschungshilfen) Messinstrumentarien fŸr Lernumgebungen, automatische
Visualisierungen und Abfragen der Interaktionslogs entwickeln (as in Cakir
et al., 2005; Donmez et al.,
2005). Umgekehrt kšnnen traditionelle Analysen,
speziell die Ma§e fŸr den Lernerfolg wie auch das ãKodieren und ZŠhlenÒ,
beibehalten werden, um schnell Hinweise dafŸr zu gewinnen, wo sich eine
detailliertere Analyse lohnt, und dadurch die
Detailarbeit zu fokussieren (as in Zemel, Xhafa, & Stahl, 2005).
Die Tradition des
iterativen Designs wurde von Fischer
& Ostwald (2005), Lingnau, et al. (2003) und Guzdial et al. (1997) veranschaulicht. Angetrieben durch die
Wechselwirkungen zwischen der entstehenden Theorie, informellen Beobachtungen
und dem Engagement der Interessenvertreter verbessern designorientierte
Wissenschaftler stŠndig die fŸr die Vermittlung von Lernen und Kollaboration
gedachten Artefakte. Ihre Forschung ist nicht notwendigerweise entweder
qualitativ oder quantitativ, sondern kann auch ãquisitiveÒ (Goldman, Crosby, & Shea, 2004) sein – erforschend und
intervenierend. Es reicht nicht aus, das Verhalten der Menschen beim Gebrauch
neuer Software nur zu beobachten. Wir mŸssen den ãRaumÒ fŸr mšgliche Designs
erkunden, in neue Bereiche vorsto§en und Erfolg versprechende Feature
identifizieren, welche dann weitere Studien unter den anderen methodologischen
Traditionen erfahren. Designer mŸssen Mikroanalysen kollaborativen Lernens mit
und durch Technologie durchfŸhren, um diejenigen Merkmale der gestalteten
Artefakte zu identifizieren, die mit wirksamen Lernen zu korrelieren scheinen.
Wenn eine neue technische Intervention getestet wird, kšnnen experimentelle
Methoden zur Dokumentation signifikanter Unterschiede genutzt werden, wŠhrend
deskriptive Methoden dokumentieren kšnnen, wie die kollaborativen Interaktionen
durch die Interventionen unterschiedlich vermittelt werden. Eine
Unterhaltung zwischen den theoretischen Annahmen der Ethnomethodologie und
denen des Designs kann zu einer ãTechnomethodologieÒ fŸhren, welche die
eigentlichen Ziele des Designs verŠndert (Button & Dourish, 1996).
Eine potentielle
BeschrŠnkung deskriptiver Methodologien sollte jedoch beachtet werden. Konzentrieren
wir uns auf das Finden von Beispielen, wie Mitglieder wirksames Lernen
erreichen, kšnnten uns reichlich vorhandene Beispiele dafŸr entgehen, wie es
ihnen auch misslingt. Jedoch um herauszubekommen, dass etwas nicht da ist,
mŸssen wir eine Idee davon haben, wonach wir suchen. Ein rein datengetriebener
Ansatz, der Theorie ableitet aber niemals anwendet, wird nicht ausreichen. Deskriptive
Methoden kšnnen dahingehend modifiziert werden. HŠufige Muster, die in
erfolgreichen Lernepisoden gefunden wurden, werden anschlie§end zu
theoretischen Kategorien, nach denen wir mit analytischen Methoden anderswo
suchen und die wir mšglicherweise in FŠllen nicht-erfolgreicher Kollaboration
nicht finden. Haben wir identifiziert, wo die erfolgreichen Methoden nicht angewandt wurden, kšnnen wir diese
Situationen dahingehend hin untersuchen, welche Charakteristik der Situation
fehlte oder verantwortlich war. Einzigartige und nicht reproduzierbare FŠlle,
in denen die Kollaboration mit Technologie auf interessante Weise scheitert,
kšnnen oft die tiefsten Einsichten darŸber liefern, was stattfindet aber
Ÿblicherweise als selbstverstŠndlich und unsichtbar angesehen wird. Es gilt
jedoch zu beachten, dass wir beim Ausfindigmachen von Fallbeispielen, in denen
kein interaktionales Erreichen von Lernen zu sehen ist, nicht Ÿbersehen, dass
etwas anderes fŸr die Teilnehmer wertvolles erreicht wurde! Aus Sicht der Teilnehmer
sind zum Beispiel die Etablierung und Aufrechterhaltung von individueller und
GruppenidentitŠt wertvolle Leistungen (Whitworth, Gallupe, & McQueen, 2000) und tatsŠchlich eine Form situierten Lernens,
obwohl sie Forscher anfŠnglich als soziales, nicht sachbezogenes Plaudern
einstufen kšnnten.
Wir haben
gesehen, dass die CSCL-Forschung mehrere Ziele und BeschrŠnkungen berŸcksichtigen
muss. Die Forschungsgemeinschaft umfasst notwendigerweise Menschen mit
verschiedensten beruflichen und fachlichen HintergrŸnden und Ausbildungen.
Sie bringen unterschiedliche Forschungparadigmen, entgegengesetzte Sichten
auf Daten, Analysemethoden, PrŠsentationsarten, Konzepte der
Exaktheit und technische Vokabularien mit. Sie kommen aus allen Himmelsrichtungen
mit verschiedenen Kulturen und Muttersprachen. CSCL ist ein sich schnell
entwickelndes Feld, welches sich (wie die Learning Sciences generell) in der
Schnittmenge anderer Gebiete, die sich ebenfalls kontinuierlich
weiterentwickeln, befindet. Zu jedem Zeitpunkt agieren die Mitglieder der
Forschungsgemeinschaft vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Vorstellung davon,
worum es sich bei CSCL handelt. Zum Beispiel definiert Sfard (1998) zwei weitreichende und unversšhnliche Metaphern
von Lernen, welche notwendigerweise fŸr CSCL relevant sind: die
Aneignungsmetapher, nach der Lernen darin besteht, dass Individuen sich Wissen
aneignen und in ihrem GedŠchtnis speichern, und die Partizipationsmetapher,
nach der Lernen aus der zunehmenden Partizipation in Praxisgemeinschaften
besteht. Lipponen, Hakkarainen & Paavola (2004), steuern basierend auf Bereiter (2002) und Engestršm (1987) eine dritte Metapher bei: die
Wissenserzeugungsmetapher, in der neue Wissensobjekte oder soziale
Praktiken durch Kollaboration in der realen Welt erzeugt werden. Folglich ist
es schwer, eine wohldefinierte, konsistente und umfassende Definition der
Theorie, Methodologie, Befunde und best practices von CSCL anzugeben.
Mšglicherweise muss man – wie Sfard argumentiert – folgern, dass
CSCL heutzutage notwendigerweise scheinbar unversšhnliche AnsŠtze verfolgt. Man
kann spekulieren, dass integriertere, hybride AnsŠtze, so wie wir das
vorzuschlagen versucht haben, in der Zukunft mšglich sein kšnnen.
Die
Forschungsmethodologie der CSCL ist im Gro§en und Ganzen zwischen
experimentellen AnsŠtzen, deskriptiven AnsŠtzen und iterativen DesignansŠtzen
trichotomisiert. Obwohl die Methodologien manchmal innerhalb eines
Forschungsprojektes kombiniert werden, werden sie auch dann Ÿblicherweise
getrennt in nebeneinander laufenden Studien oder separaten Auswertungen
einer einzelnen Studie eingesetzt. Unterschiedliche Forscher tragen manchmal
unterschiedliche HŸte im selben Projekt und reprŠsentieren dann
unterschiedliche Forschungsinteressen und -methodologien. Diese Situation
mag dennoch produktiv sein: die experimentell arbeitenden Forscher
identifizieren weiterhin Variablen, die allgemeine Parameter kollaborativen
Verhaltens beeinflussen, die Ethnomethodologen identifizieren fŸr die
Bedeutungskonstruktion grundlegende Muster gemeinsamer AktivitŠten und die
Designer fŸhren Neuerungen ein, um neue technologische Mšglichkeiten kreativ
anzupassen. Bald jedoch werden wohl innerhalb des CSCL Experimentatoren damit
beginnen, sich auf die abhŠngigen Variablen zu konzentrieren, die den
deskriptiven Forschern direkt das interessierte PhŠnomen widerspiegeln (Fischer & Granoo, 1995), Ethnomethodologen werden nach prŠdiktiven RegelmŠ§igkeiten in der
technologisch vermittelten Bedeutungskonstruktion suchen, die dann in das
Design einflie§en, und die Designer werden vielversprechende neue
technologische Affordanzen bezŸglich der von ihnen ermšglichten
Bedeutungskonstruktion schaffen und bewerten. Gegenseitige UnterstŸtzung und
eine engere Kollaboration kšnnen durch hybride Methodologien mšglich werden,
zum Beispiel durch die Anwendung reichhaltigerer deskriptiver Analysemethoden
auf das Problem des Verstehens der Folgen experimenteller Manipulationen
oder neuer Designs, oder aber durch ComputerunterstŸtzung fŸr unsere
eigenen bedeutungskonstruktierenden AktivitŠten als Forscher.
CSCL-Forscher
bilden eine Gemeinschaft des Erkundens, welche aktiv neue Wege der Kollaboration
fŸr das Design, die Analyse und EinfŸhrung von ComputerunterstŸtzung fŸr
kollaboratives Lernen konstruiert. Ein breites Spektrum an Forschungsmethoden
aus den Learning Sciences dŸrfte bei der Analyse computerunterstŸtzten
kollaborativen Lernens hilfreich sein.
Mittels angepasster
Ideen, Methoden und Funktionsweisen aus verwandten Gebieten dŸrfte CSCL das
Forschungsgebiet CSCL in seiner nŠchsten Phase kollaborativ neue Theorien,
Methodologien und Technologien konstruieren, die spezifisch auf
die Aufgabe, soziale Praktiken der intersubjektiven Bedeutungskonstruktion im
Hinblick auf die UnterstŸtzung kollaborativen Lernens zu analysieren,
ausgerichtet sind. Die Autoren dieser Abhandlung haben argumentiert, dass CSCL
eher einen Fokus auf die bedeutungskonstruierenden Praktiken
kollaborierender Gruppen und auf das Design technologischer Artefakte zur
Vermittlung von Interaktion als auf individuelles Lernen benštigt. Ob dieser
Fokus zu einem kohŠrenten theoretischen Rahmenwerk sowie einer kohŠrenten
Forschungsmethodologie fŸr CSCL fŸhren kann, wird und sollte, bleibt
abzuwarten.
Eine Version
dieser Abhandlung wurde als (Stahl, Koschmann, & Suthers, 2006) veršffentlicht. Sie profitierte von den
redaktionellen VorschlŠgen von Keith Sawyer.
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[1] †bersetzung von Martin MŸhlpfordt unter
Mithilfe von Andrea Kienle, Axel Guicking, Friederike Jšdick und Martin
Wessner.
[2] Der im englischen Sprachraum
gebrŠuchliche Begriff der ãLearning SciencesÒ hat im Deutschen im Prinzip keine
Entsprechung. Mit ãLearning SciencesÒ wird ein anwendungsorientiertes
interdisziplinŠres Forschungsprogramm bezeichnet, in dem menschliches Lernen
aus verschiedensten theoretischen Perspektiven der Lehr-Lernwissenschaft,
Psychologie, Informatik, Neurowissenschaften heraus untersucht wird.